Perfektionismus - Zeitfresser und Erfolgsrezept! Wie du besser damit umgehen lernst...
14. Apr, 2017Gehörst du auch zu den Leuten, die es einfach gerne perfekt haben? Vollständig perfekt? Nicht nur so ein bisschen, sondern so richtig?
Und hast du auch das Gefühl, dass dein Wohnzimmer eigentlich NIE aufgeräumt aussieht, dass deine Haare IMMER unordentlich sind (und erst die deiner Kinder oder deines Partners…!)
Und findest du auch, dass dein Kollege bei seiner letzten Präsentation ECHT SCHLAMPIG gearbeitet hat? Texte und Bilder sind nicht mal im Raster ausgerichtet und die Farbwahl der Textbausteine…war die nicht auf der Seite davor eine Spur anders?
Dann – herzlichen Glückwunsch – gehörst du zu den Perfektionisten!
Perfektionismus ist der ausgeprägte Wunsch danach, die echten vollen 100% zu geben. Keine halben Sachen oder schlampige Arbeit. Nur wenn es wirklich richtig ordentlich ist, dann ist es gut.
Grundsätzlich ist das eine Quelle für Erfolg. Und es gibt Berufe, bei denen sich jeder von uns wünscht, dass sie mit Perfektion ausgeübt werden. Zum Beispiel, wenn ein Chirurg eine Operation durchführt oder ein Zahnarzt eine neue Krone für den Zahn macht. Da erwarten wir richtig gute Arbeit. Sinnvoll ist perfektes Arbeiten auch in der Buchhaltung oder im Qualitätsmanagement. Wir möchten in Autos sitzen, bei denen die Bremsen funktionieren, keine Frage.
Es gibt im Zeitmanagement das Pareto-Prinzip: Dieses Prinzip ist durch zahlreiche Untersuchungen belegt worden. Es sagt aus, dass mit 20% der Arbeit bereits 80% des Erfolges entstehen. Danach nimmt die Erfolgskurve stark ab. Für die letzten 20% Erfolg muss man entsprechend wahnsinnige 80% Arbeit aufbringen. Also: In 20% der Zeit in Meetings werden 80% der Entscheidungen getroffen (meistens in den letzten 10 Minuten). 20% der Kunden eines Unternehmens bringen statistisch gesehen 80% der Umsätze. In 20% der Zeitung stehen 80% der wichtigen Neuigkeiten usw.
Es ist also ganz wichtig abzuwägen, wie viel Zeit und Arbeit man für welches Ergebnis überhaupt einsetzen möchte. Perfektionismus ist in dem Zusammenhang ein Zeitfresser, der sich definitiv nicht immer lohnt. Warum hängen dann doch so viele daran, eine perfekte Arbeit abzugeben?
Perfektionismus wird früh als Rezept für Erfolg gelernt
Viele von uns haben den Perfektionismus bereits in jungem Alter von wichtigen Bezugspersonen gelernt, z.B. von den Eltern. Man denkt, dass die entscheidenden Jahre so im Alter von 5-7 Jahren liegen. Das äußert sich beispielsweise so, dass ein Bild vom Kind „noch schöner“ gemalt werden kann, oder das Zimmer „noch besser“ aufgeräumt werden kann. Eltern und andere vermitteln diese Art zu arbeiten mit der guten Absicht, dass das Kind im Leben erfolgreich sein wird. Und eine sorgfältige Arbeit wird zumeist auch sehr geschätzt, von Vorgesetzten, Arbeitgebern oder auch Kunden. Was macht Perfektionismus denn dann trotzdem zu einem der Verhaltensmuster, die tatsächlich eine Tür für beispielsweise Burnout öffnen?
Das Problem liegt in der Programmierung in der Kinderzeit. Kinder im Alter von 5-7 Jahren lernen alles auf eine sehr emotionale Art und Weise. Sie lieben ihre Eltern sehr und erleben Kritik sehr oft als persönlich Ablehnung. In diesem Alter können Kinder noch nicht unterscheiden zwischen „ich habe dich lieb“ und „ich bin nicht mit deiner Leistung einverstanden“. Ein „nicht gut genug“ wird vom Kind aufgefasst wie ein „ich habe dich nicht lieb“. Kinder funktionieren in den Alter immer noch unbewusst wie in der Steinzeit. Wer nicht liebgehabt wird, der läuft Gefahr, von der Horde zurückgelassen zu werden. Das bedeutete ganz früher den sicheren Tod. Insofern ist die Frage, ob ein Bild gut genug gemalt ist, für Kinder eine existenzielle Frage. Eine nicht ausreichende Leistung stellt eine Bedrohung dar, und so speichert das Gehirn diese Erfahrungen ab. Emotional, nicht rational. Das stellt eine sehr tiefgehende Programmierung dar. Der gelernte Satz im emotionalen Erfahrungsgedächtnis heißt nämlich dann „Du musst IMMER perfekt sein, damit du existieren darfst!“ Das können wir als Erwachsener und oft rational denkender Mensch gar nicht mehr nachvollziehen. Uns fehlt regelrecht der Zugang.
Perfektionismus ist eine Datenautobahn im Gehirn
Aber auch als Erwachsener liegen diese gelernten Erfahrungen immer noch im unbewussten Gedächtnis vor. Sie sind über die Jahre zu einer regelrechten Datenautobahn im Gehirn geworden. Ganz oft hat dieser Mensch in seinem Leben die positive Erfahrung gemacht: „Wenn ich alles perfekt mache, dann bin ich gut und werde akzeptiert.“ Diese positiven Erfahrungen haben die Wirkung des Verhaltensmusters immer wieder verstärkt. Unter Stress (es gibt z.B. besonders viel zu tun oder der Vorgesetzte macht Druck etc.) wird erst recht auf die bewährten Verhaltensmuster zurückgegriffen. Das bedeutet, der Perfektionist versucht unter hohem Zeitdruck beispielsweise noch perfekter zu sein, um sich (mit Blick auf die kindlichen Erinnerungen, die immer noch aktiv sind) die eigene Existenz zu sichern. Je weniger Zeit, desto perfekter. Als Erwachsener sehen wir logisch-rational, dass das nicht gehen kann. In diesem Fall führt die Spirale regelrecht abwärts: Keine Zeit > noch perfekter > verbraucht mehr Zeit > noch mehr Zeitdruck > mehr Stressgefühl > noch perfekter usw.
Als Perfektionist musst du lernen, die Grenze zur Selbstüberforderung zu erkennen
Wir sehen: Perfektionismus ist an sich nicht schlecht, wir müssen nur erkennen, wann es zu viel des Guten wird und die Grenze erreicht ist. Und dann muss man sich in vielen kleinen Schritten und mit viel Übung antrainieren, die gedankliche Datenautobahn zu verlassen und ein anderes Handlungsmuster ergänzend daneben zu stellen. Du musst deinen Perfektionismus nicht loswerden, aber du solltest erkennen, wann du dich selber damit überforderst oder dass du dir vielleicht andere Rahmenbedingungen schaffen musst, damit du weiter so perfekt wie gewünscht arbeiten kannst.
Meine 5 Top-Tipps, um den Perfektionismus gesund und nachhaltig zu ergänzen:
Ja, du hast richtig gelesen: Du darfst deinen Perfektionismus behalten; du solltest ihn aber um alternative Verhaltensmuster ergänzen, die dann greifen, wenn es brenzlig wird. Und das kannst du folgendermaßen üben:
- Hol dir regelmäßig Rückmeldungen von anderen, wie sie deine Leistungen erleben. Oft wirst du erstaunt sein, dass andere dein Ergebnis bereits als gut genug einschätzen. Und vielleicht fällt es dir dann leichter, früher loszulassen.
- Versuche dich daran, zuerst bei unwichtigen Dingen nur 70% zu geben. Lass als Hausfrau mal absichtlich eine Ecke in der Küche ein wenig dreckig. Lass es im Büro sehenden Auges mal zu, dass du einen Fehler im Schriftstück extra drin lässt. Probiere dich aus im Aushalten von „unschönen Zuständen“. Je besser du das bei unwichtigen Dingen kannst, desto mutiger kannst du werden. Profis geben wichtige Präsentationen absichtlich mit leicht ungenauer Formatierung ab 😊…
- Der wichtigste Satz – deine Erlauber-Mantra: Was ist ein Satz, den du dir selber sagen kannst, der dir den Druck nimmt? Das könnte so etwas sein wie „Ich bin gut genug.“ Oder „Ich habe gut genug gearbeitet.“ Oder „Ich darf auch Fehler machen.“ Denke dir deinen Satz aus und wiederhole ihn innerlich bei jeder Gelegenheit.
- Versuche, dir regelmäßig Ruheinseln zu gönnen, in denen du dein Verhalten reflektieren kannst, z.B. indem du abends 15min in Ruhe Tagebuch schreibst…was lief schon gut, was kannst du noch ändern? Verhaltensänderungen funktionieren am besten ohne Stress.
- Und vor allem: Habe Geduld mit dir und lasse dir Zeit beim Entwickeln von mehr Lockerheit und Gelassenheit. Fachleute sagen, dass eine Verhaltensänderung dieser Art gerne mal 1,5 Jahre dauern darf.
Wenn du Kinder hast: Versuche abzuwägen, wann Kritik an einem Bild noch angemessen ist und wann es auch einfach „gut genug“ ist. Vielleicht schaffst du es auf diese Art und Weise, dein Erfolgsrezept zu vermitteln, ohne dass du eine zu tiefe, dogmatische Prägung hinterlässt. Deinem Kind könnte es dann eines Tages leichter fallen, aus der Selbstüberforderung auszusteigen.
Wenn du allerdings das Gefühl hast, dass dein Perfektionismus übermäßig dein Leben blockiert und alles dominiert was du tust und du dich regelmäßig unfrei deswegen fühlst…vielleicht solltest du dir Hilfe suchen? Zuallererst hilft sicher immer ein Gespräch mit guten Freunden oder dem Partner/in. Je nach Veränderungswunsch kann auch ein Coaching oder sogar eine Therapie helfen. Letzteres macht dann Sinn, wenn der Perfektionismus in der Biografie beispielsweise auch durch traumatische Erlebnisse verankert wurde. Das muss aber gar nicht sein.
Wir alle sind nicht perfekt. Jeder ist besonders. Und am besten kommt derjenige durchs Leben, der es schafft, möglichst flexibel in seinem Verhalten auf die unterschiedlichsten Situationen zu reagieren. Offenheit für Lernen hilft…und Selbstakzeptanz: Du bist genau so richtig und gut, wie du bist!
Viel Erfolg! Ich freue mich auf deinen Kommentar.